Aachener Nachrichten - 10.07.2008
„Oft haben wir es mit Isolation zu tun“
Michael Giesen
Herzogenrath. Was früher die Großfamilie leistete, soll nun die Kleinfamilie schaffen – und erleidet dabei oft Schiffbruch. Das Auffangen von Engpässen zeitlicher, personeller sowie auch emotionaler Natur gestaltet sich für die Kleinfamilie, insbesondere wenn beide Elternteile dem Broterwerb nachgehen, immer schwieriger. Auf der anderen Seite der Alterspyramide der Gesellschaft werden die Senioren immer älter. Manche sind fit, haben mitunter viel freie Zeit, andere sind hilfsbedürftig. Ein rettender Anker Ein gesellschaftlicher Spagat, in dem ein Projekt in der Stadt Herzogenrath seinen Platz finden will: In der Stadtverwaltung setzt man auf das Ehrenamt. Und nicht nur dort. Auch andere Gruppen haben das Ehrenamt als rettenden Anker in einer Gesellschaft entdeckt, die sich nicht unbedingt um Solidarität und gegenseitige Rücksichtnahme bemüht. Efas (Ehrenamt lerInnen für Familien und Seni orInnen) – so nennt sich das Projekt, das nach den Sommerferien gestartet wird. Dazu haben sich zusammengeschlossen: die Servicestelle für Familiengesundheit „moliri“, das Frauenkommunikationszentrum im Eurode-Bahnhof, das städtische Koordinationsbüro „Rund ums Alter“, die lokale Koordinatorin des „Lokalen Bündnisses für Familien“ sowie das Stadtjugendamt. Wichtige Erfahrung sammeln Bürgermeister Christoph von den Driesch ist die treibende Kraft hinter dieser „Ehrenamtsbörse“. Neben den praktischen Vorteilen im Alltag sieht er auch ideelle Vorteile. Etwa wenn die Jungen die Alten unterstützen. Erstere könnten dann „für den eigenen Lebensweg entsprechende Erfahrungen sammeln“. Als ehemaliger „Zivi“ spricht von den Driesch da seinerseits aus eigener Erfahrung. Von den Driesch bringt die vereinten Anstrengungen auf einen Punkt: „Das Miteinander der Generationen soll gestärkt werden.“ Das Hilfsangebot für Senioren (ab 60) könnte im Begleiten bei Behörden- oder Arztbesuchen oder auch bei Konzert- und Theaterbesuchen bestehen oder sich auf den Haushalt oder das Einkaufen erstrecken. Eine andere „Hilfsform“ ist selbstredend mit angedacht, eine ganz zwischenmenschliche: Gesellschaftleisten durch gemeinsame Spaziergänge oder auch Vorlesen. Schließlich: „Die Grundbedürfnisse sind immer sichergestellt. Persönliches bleibt auf der Strecke“, sagt Bereichsleiterin Annemarie Clermont-Karo. Ehrenamtler und sein Gegenüber sollten, so empfiehlt Clermont-Karo, möglichst relativ nah beieinander wohnen. Bei den Familienpaten sieht die mögliche Hilfspalette grundsätzlich kaum anders aus als bei den Senioren. Bloß: die Zielgruppe ist eine andere. „In erster Linie haben wir die jungen Mütter im Blick“, sagt Fachbereichsleiter „Jugend“ Bernd Krott. „Oft haben wir es mit Isolation zu tun.“ Und dann gibt es da noch die „Familienfeuerwehr“. Für sie werden Ehrenamtler für den kurzfristigen Schnelleinsatz gebraucht. Eben wenn es in einer Familie plötzlich „brennt“. Etwa, wenn die die Kinder tagsüber betreuende Oma plötzlich krank wird, und kein Ersatz in Sicht ist. „Diese drei Teilprojekte hätten ja auch allein laufen können“, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte Birgit Kuballa und verweist auf den Nutzen der Vernetzung, der Synergieeffekte bringen könne. Weshalb auch mehrere Partnerorganisationen mit im Boot seien. „Der Baustein ‚regelmäßige Begleitung‘ ist für uns ein ganz wichtiger“, versichert Monika Jentzen-Stellmach von „moliri“, froh über diese Form der Kooperation. Prüfung im Erstgespräch Interessierte, die sich für diese ehrenamtlichen Tätigkeiten melden, sollen nicht allein gelassen werden. Zum Einstieg werde es zum Beispiel eine ganz allgemeine Schulung geben mit dem Thema „Was ist Ehrenamt?“, erklärt Ga briele Allmann vom Frauenkommunikationszentrum. Gedacht ist aber auch an Themen wie „Gesprächsführung“, „Kommunikatives Handeln“ oder auch „Handy führerschein für ältere Menschen“. Allmann: „Das sind Schulungspunkte, die durchaus auch eine Bereicherung für den Einzelnen sein können.“ In einem Erstgespräch wird geprüft, ob sich die Kandidaten überhaupt für die ehrenamtliche und verantwortliche Tätigkeit eignen. So müssen sie beispielsweise mindestens 16 Jahre alt sein und die Garantie bieten, Dinge auch höchstvertraulich für sich behalten zu können. Für die Hilfsbedürftigen wird es einen Fragebogen geben, über den auch herausgefunden werden soll, ob beide Seiten überhaupt zueinander passen werden. Clermont-Karo: „Wir werden mit Sicherheit auch den Erstkontakt herstellen.“ Überdies gilt laut Kuballa der Grundsatz: „Lieber eine Nichtvermittlung als eine falsche.“ Sämtliche Akteure in diesem Projekt sind sich bewusst, dass sich „Efas“ nicht von heute auf morgen etablieren wird. Schon gar nicht in der ganz großen Breite. Christoph von den Driesch: „Gerade wenn es um die eigenen vier Wände geht, ist die Hemmschwelle groß.“ Und Birgit Kuballa weiß: „Das Ganze funktioniert nur in einem langsamen Aufbau.“ Und: „Das wird nicht nur über einen Flyer laufen, der über die Apotheken verteilt wird.“ Und aus dem Munde von Bernd Krott hört sich das so an: „Das braucht Zeit. Das muss wachsen.“ Wie sagt doch der Volksmund: Gut Ding will Weile haben.